Bereits am 3. Dezember 1885 (mehr als drei Wochen vor der Kirchweihe) geschieht die offizielle Abnahme der neuerbauten Orgel. In der Zeitschrift für Instrumentenbau vom 1. Januar 1886 berichtet der damalige Organist Karl Stiller ausführlich über »Die grosse Kirchen- und Concert-Orgel in der neuen Peterskirche zu Leipzig«. Einleitend heißt es: »Dieses Werk wurde vom Königl. Preuss. Hof-Orgelbauer Wilhelm Sauer in Frankfurt a. Oder erbaut.« Die Disposition umfaßt 60 klingende Register bei drei Manualen und Pedal auf Kegelladen mit mechanischer Spiel- und pneumatischer Registertraktur. Bemerkenswert sind die von Stiller erläuterten neuartigen technischen Konstruktionen. Zu ihnen zählt eine patentierte freie Registerkombination, mit deren Hilfe durch einen »Combinationspedaltritt« der gerade gespielten Registrierung vorher eingestellte Register hinzugefügt und wieder weggenommen werden können. Zwei Rollschweller bewirken eine starke dynamische Ergiebigkeit. Durch Drehen einer Fußwalze wird das Anschwellen der Orgel »von der zartesten Stimme gradatine zur vollen Orgel und so auch wieder zurückkehrend« ermöglicht. Den Rollschweller für das Pedal »wendet Herr Sauer hier zum ersten Male an, diese Einrichtung ist wohl noch nirgends vorzufinden«. Am wichtigsten aber ist die Verbindung zwischen Tasten und Pfeifen durch eine mechanische Traktur »mit pneumatischen Maschinen«. Die Trakturbewegungen werden durch auf- und niedergehende Bälgchen unterstützt; die dadurch erzielte leichte Spielbarkeit läßt noch die direkte Verbindung von der Taste zum Pfeifenventil spüren.
Der Bericht von Karl Stiller endet mit der Beschreibung des Eindrucks, den die Abnahmekommission (Universitätsmusikdirektor Prof. Dr. Langer, Thomaskantor Prof. Dr. Rust und Organist Stiller) gewonnen hatte:
»Die grosse Sauer'sche Orgel in der neuen Peterskirche zu Leipzig ist ein Meisterstück allerersten Ranges. Die Intonation der einzelnen Stimmen ist vortrefflich und durchaus deren Charakter entsprechend, die Wirkung des vollen Werkes überwältigend. Die Spielart ist eine angenehme, die mechanischen Vorrichtungen wirken sicher und präcis. Das verwendete Material ist von vorzüglicher Güte, der Kostenpreis des Werkes hält sich in relativer wie in positiver Hinsicht in durchaus annehmbaren Schranken … Zum Schluss ist noch hinzuzufügen, … dass der Kirchenvorstand der hiesigen Thomaskirche nach Anhörung der Peterskirchen-Orgel Herrn Sauer den Bau der neuen Orgel mit 63 Stimmen für die Thomaskirche übertragen hat.«
Prächtig und kostbar auch im aufwendig verzierten neugotischen Gehäuse erweist sich die Orgel als ein Werk aus Geist und Kraft der Gründerzeit. Dabei aber führt der dunkle, ernste, massige, wenn auch differenzierbare und bisweilen schillernde Klang, den diese Orgel besaß, zu einer Deutung als künstlerische Vorahnung drohender Katastrophen. Man bedenke, daß Max Reger 1901 seine »Inferno-Fantasie« op. 57 für Orgel komponiert hat.
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